Rhythmus

Leben im Rhythmus der Natur, jetzt ist es soweit. In den Mails von Freundinnen und Kollegen entnehme ich, dass in Österreich das Wetter eher durchwachsen ist, immer wieder hör ich von Regen und lokalen Unwettern, denke immer an die Hochwasseralarme, hatten ja vor meiner Abreise noch erhöhte Einsatzbereitschaft diesbezüglich. So war das Wetter, zumindest Wetterextreme schon immer alltagsbestimmend für mich. Nur ist es mir nie so bewusst gewesen und bis auf kurze Strecken die man im Freien verbringen musste, war man ja weitgehend im Trockenen. An Schlechtwettertagen schaut man aus dem Fenster und denkt sich, na da möchte ich nicht draußen sein müssen. Und jetzt sind wir draußen, auch wenn wir uns runter ins Boot zurückziehen spüren wir die Bootsbewegungen, hören auf alle Geräusche, besonders wenn sich am Anker was bewegt ist höchste Alarmstufe. Beruflich kann ich mich jetzt entspannen, meine ständige telefonische Bereitschaft ist jetzt jäh abgerissen, ich hab das Handy nicht einmal mehr ständig eingeschaltet und Telefonate sind wirklich die Seltenheit. Auch E-Mails kommen in überschaubarer Menge, der Computer dient mehr der Navigation und was noch wichtiger ist, der Updates von Wetterberichte. Früher haben wir primär den windfinder.com abgerufen, jetzt gewöhnen wir uns schon an die Grib Files, von denen man Windrichtung und Stärke auf einer Seekarte ablesen kann und dass im Dreistundenrhythmus, ziemlich genau. Grib Files bekommt man auch über Kurzwelle, das ist wichtig wenn wir nicht mehr in Küstennähe sind. Robert beschäftigt sich viel mir dem Kurzwellenfunk und wurde auch wegen seiner guten Antenne die einen klaren Empfang ermöglicht gelobt, dass ist eine Auszeichnung die die aufwendigen Arbeiten am Boot würdigen. Das Wetter ist seit unserer Ankunft in Griechenland stabil, bisher nur ein kurzes Gewitter, die wenigen aufziehenden Gewitterwolken lösen sich so schnell wieder auf wie sie entstanden sind, nur gestern hat es ein paar Tropfen geregnet obwohl die eine Wolke schon deutlich weitergezogen war. Regen quasi vom blauen Himmel, aber wie gesagt es waren nur einige Tropfen, zu wenig um nass zu werden und außerdem waren wir ohnehin gerade schwimmen. Die letzten Tage hatte es wenig Wind, beziehungsweise sind wir gut in Vathy auf Meganisis gelegen, sodass uns der Nachmittagswind, den es fast jeden Tag gibt egal war. Für heute Nachmittag war viel Wind, sogar stürmisch angesagt, wir sollten weiter segeln, eine Bucht im Süden von Meganisis oder Ithaka. Der Wind bestimmt den Rhythmus und bei starkem Wind macht es auch keinen Sinn genau gegenan zu wollen, also schauen wir, wo wir mit diesem Wind halbwegs bequem hinkommen und genießen die rasche Fahrt. Wie vorhergesagt frischt der Wind auf, in den Böen bis 25 Knoten, sonst um die 17, sobald der Wind zunimmt wird gerefft. Mit deutlich kleinerer Segelfläche liegt das Boot stabiler in den Wellen und wir sind sogar noch flotter unterwegs, am Wind bis zu 7 Knoten. Ich bin jedesmal aufs neue fasziniert, wie gut unser Boot lauft. Segeln ist für mich entspannend, obwohl bei Starkwind schon eine gewisse Ehrfurcht und Anspannung dabei ist, man ist ja abhängig davon dass alles hält, wenn etwas reißt oder bricht kann es gefährlich werden, zumindest muss rasch gehandelt und notdürftig repariert werden. Auch sind Änderungen an der Besegelung, zum Beispiel Reffen mit Arbeit am Vorschiff verbunden, die Robert erledigt, ich steuere das Boot und bediene alle Leinen von hinten. Da braucht es immer gute Vorbereitung, denn wenn mitten im Manöver was klemmt oder ausrauscht hat man Stress. Bei starkem Wind bin ich gerne am Steuer, von da aus hab ich das Boot, die Wellen, die Bewegung alles im Blick und im Gefühl, denn vieles entscheidet man nicht weil man es sieht, sondern weil man spürt, dass sich was verändert, sei es die Geschwindigkeit, die Lage oder der Druck den man am Ruder spürt, viele Signale, die man fast automatisch umsetzt und notwendige Veränderungen rasch erledigt. Und wenn alles passt läßt die Anspannung nach, es bleibt die hohe Aufmerksamkeit aber auch die Ruhe die die gleichmäßige Bewegung und die Weite des Meeres hervorrufen, Zeit zum nachdenken, oder auch fast in Trance nichts zu denken. Mit dem Näherkommen der Insel dann die Wahl des Ankerplatzes, eine schöne Bucht, ein Segler liegt schon drin, wir legen uns mit Landleine weiter hinein in die Bucht, denn bis etwa Mitternacht ist noch starker Nordwestwind mit Fallböen angesagt. Für diesen Wind liegen wir hier gerade richtig, der Anker hält gut. Man kann es kaum glauben aber jetzt fürchten wir eher, dass der Wind ganz auslässt und dann von einer anderen Richtung bläst und dann könnte uns das andere Boot, welches mit dem Wind schwoit, sich also 360 Grad herumdreht, unangenehm nahe kommen. Also, jetzt wo der Wind nachlässt müssen wir wieder besonders aufmerksam sein. Die Abende sind ohnehin sehr lange geworden, wir sind oft verwundert dass es schon Mitternacht ist. Zuerst schauen wir uns den Sonnenuntergang an, dann leuchtet der Mond ganz hell und zaubert einen Lichtkegel auf das Wasser, wie ein starker Scheinwerfer, und manchmal steht man im Rampenlicht, alles klitzert um einen herum, das Land ist immer undeutlicher zu sehen und verschwindet dann ganz im Dunklen. Die langen Abende, meist Windstille und sehr heiße Nächte bedeuten, dass wir auch erst später, so um acht oder neun aufstehen, auch hier hat sich unser Rhythmus ganz umgestellt, sind wir doch eigentlich eher Morgenmenschen, hier ist es eben anders, da verschiebt sich alles in den Abend und die Nacht und es läßt sich auch gar nicht verändern. Interessant wie schnell man sich an geänderte Bedingungen anpasst, wie schnell man einen anderen Rhythmus übernimmt. Jetzt sind wir fünf Wochen unterwegs und ich kann mir gar nicht vorstellen fast täglich um sechs Uhr oder früher aufgestanden zu sein, das Läuten des Weckers hab ich seither auch nicht mehr gehört, man wird wirklich rasch ein anderer Mensch, viel entspannter, ruhiger, langsamer, doch was bleibt oder sogar noch wichtiger wird ist die Gabe binnen weniger Augenblicke von Null auf Hundert Aktivität zu kommen. Früher hat mich der Pager oder das Telefon rasch aktiviert, jetzt sind es eben die vielen Signale, die wir ständig im Hintergrund mitlaufen haben. Und im Anlassfall geht alles rasch und ohne viel Worte, unsere Rollen sind gut eingespielt, jeder macht seine Handgriffe und erst danach merken wir die Erleichterung, wieder eine gefährliche Situation gut gemeistert zu haben. Letztens hat sich der Anker überdreht und ist ausgebrochen, wir sind Richtung Ufer geschlittert. Diese Momente kommen einem immer wieder unter, es scheint, dass man sie öfter durchkauen muss um wieder zu einem sicheren Gefühl zurück zu kommen. Die Abhängigkeit vom Wind und gut geschützen Plätzen ist wirklich etwas Besonderes. Hier auf den Ionischen Inseln segeln wir zum Beispiel nur an den Ostküsten, weil die bei vorherrschenden Westwinden im Lee liegen und es da immer deutlich weniger Wind gibt und man ohnehin an der windabgewandten Seite Schutz zum Ankern oder an einer Mole sucht. Die Inseln sind an den Westküsten auch meist steile Klippen mit wenigen Buchten ohne Schutz, für Übernachtungsstopps nahezu ungeeignet. Und auch an den Ostküsten gibt es auf diesen Inseln nur wenige Plätze, die bei starken Winden sicher sind. Durch die hohen Berge kommt es zu Fallböen die wirklich unangenehm, manchmal auch gefährlich sind. So ändern sich auch die Bedingungen von Insel zu Insel, auch hier ist rasche Anpassung an die neuen Gegebenheiten gefragt. Wetterbedingungen schmeißen dann öfter mal Pläne um, schöne Orte lassen sich so nicht erreichen oder wir können sie erst später mit dem Fahrrad oder Mofa besuchen. Ich hab immer viel mehr am Plan, als dann möglich ist. Man braucht eine Auswahl und einen guten Überblick, was es in der Umgebung so alles gibt, nicht nur aus Interesse, sondern auch aus Sicherheitsüberlegungen, denn oft ist Plan B gefragt.

Reisen mit einem Segelboot hat Zeiten und Momente, die wirklich Urlaub und Freiheit sind, aber alles ist durchsetzt mit der Verantwortung und Arbeit mit dem Boot, mit dem Besorgen der wesentlichen Dinge zum Leben, die ja nicht wegfallen und weil man ja nicht rasch wieder zu Hause ist und die Schmutzwäsche in einer Großwaschaktion wieder sauber bringt, ist auch Wäschewaschen und Putzen immer wieder auf der Tagesordnung. Die kleineren Wäschestücke waschen wir, immer wenn einiges angefallen ist, in unserer mechanischen Waschmaschine. Das geht nebenbei, ist aber trotzdem Handarbeit die einige Zeit in Anspruch nimmt. Für Bettwäsche oder Badetücher braucht es eine richtige Waschmaschine, die wir in öffentlichen Wäschereien, meist nur in größeren Orten oder Städten, finden. Hier muss man ein bisschen vorausschauend planen und die Tage in einer größeren Stadt oder Marina dafür nutzen. Das sind dann wieder schweißtreibende Arbeitstage, eben nicht Urlaub. Und so gibt es noch viel was Urlaub und Fahrtensegeln unterscheidet, was wir aber jetzt schon feststellen, für uns passt diese Mischung von Freizeit, Freiheit, Verantwortung und Arbeit, auch wenn ungünstige Wetterbedingungen uns stressen oder auch gröbere Probleme bereiten. Unsere Fahrräder geben uns an Land viele Freiheiten die wir sehr schätzen. Auf Meganisis haben wir so die ganze Insel erkundet, dass wäre zu Fuß kaum möglich gewesen und Mofas gab es nicht zu leihen. Die längere Reise, nicht wie in den letzten Jahren in einem Monat wieder im Heimathafen sein zu müssen, gibt uns erst die Möglichkeit nicht nur zu segeln sondern auch ausgiebig das Land zu erkunden. Es ist eine unserer größten Freiheiten, die wir jetzt genießen. Seglerleben ist Alltag mit einfachen Mitteln, man kann sich vorstellen wie aufwendig und teilweise auch mühsam früher die Hausarbeit und die Organisation des Lebens war, wie verwöhnt wir heute sind wenn Waschmaschine, Geschirrspüler und Mikrowelle vieles vereinfachen und wenn wir mit dem Auto rasch große Distanzen überwinden. Mit dem Fahrrad oder zu Fuß spürt man jeden Kilometer, besonders bergauf und Inseln haben die unangenehme Eigenschaft Berge zu sein. Es geht immer relativ steil hinauf und jede Bergabstrecke bedeutet, dass man wo anders wieder rauf muss. Nur zum Ende der Radtour wird man mit einer Bergabstrecke belohnt, denn das Boot liegt immer auf Meeresniveau. Diese Reduktion des Lebens ist eine der Herausforderungen die wir auf Reisen bewusst auch ein Stück genießen, jede Arbeit bringt uns ein Stück Lebensqualität, alles ist selbst erarbeitet und hat damit einen besonderen Sinn und Wert. Ohne Arbeit und Herausforderungen wäre das Leben ja belanglos, so bleibt es aufregend, spontan und abwechslungsreich.